Hufeland-Spiegel 96 - Flipbook - Seite 26
Ein Plädoyer für
positiven Smalltalk
von Cornelia Vasina-Knödler
er kennt sie nicht, die Menschen, die einen kurzweiligen
Abend im Freundeskreis mit
der Frage verderben, ob man angesichts
der Umweltproblematik tatsächlich noch
mit dem eigenen Auto fährt, wo es doch so
viele umweltgerechte Möglichkeiten in der
Großstadt gibt. Oder ob man in Anbetracht
des fortgeschrittenen Alters wirklich noch
„pink“ tragen sollte? Oder die Kolleg*innen,
die uns beim Mittagstisch mit Blick auf
unseren Burger-Pommes-Teller mit neuesten Erkenntnissen über Gesundheit und
Vegetarismus beglücken wollen.
W
Es ist fast so, als ob wir in einer Welt leben,
in der jeder genau weiß, wie es besser
geht. Die Hausmeister, die angeblich den
ganzen Tag nur rumstehen, die Fußballfans, die sich sicher sind, dass sie bessere
Entscheidungen treffen können als das
professionelle Trainerteam, und die Millionen Bürger, die genau wissen, was der
Kanzler hätte tun oder sagen müssen.
Oft wird die Kompetenz anderer einfach
verkannt oder die Komplexität der Entscheidungsfindung nicht beachtet. Der
Moralisierende stellt die Gegenseite ins
schlechte Licht, spricht ihr die Entscheidungskompetenz ab und glaubt wahrscheinlich tatsächlich zu wissen, was
besser zu tun wäre. „Bei mir würde es so
etwas nicht geben“, hört man dann. Kant
warnte uns schon vor dem moralischen
Verurteilen anderer und plädierte für
Wohlwollen und Nachsicht. Doch stattdessen schwingen die vermeintlich Besserwissenden gerne ihre Zeigefinger. Dabei
wird oft vergessen, dass die kritisierten
Personen oft nicht leichtfertig entscheiden
und vielleicht einfach das kleinere „Übel“
gewählt haben oder ihnen einfach egal ist,
was andere über sie denken. Besserwisserei geht häufig mit einer Reduktion der
Komplexität und Prinzipienreiterei einher.
FOTO: ISTOCKPHOTO/MUCAHIDDIN
BLICKPUNKT
Weniger Urteile,
mehr Freude