Hufeland-Spiegel 96 - Flipbook - Seite 9
Nachrichten
Frühlingsanfang
Der Frühling begann offiziell
am Donnerstag, 20. März 2025
um 10:01 Uhr! Nach dem langen
Winter und mitten in einer von
Krisen gerüttelten Zeit freut man
sich auf den Frühlingsbeginn.
Bei unseren Pilgertagen stellen wir immer wieder fest, wie
bereichernd die Vielfalt in der
Inneren Mission ist! Und wenn
man in diesen Tagen an „Frühling“ denkt, denkt man dabei an
die verschiedenen Vorstellungen
und Begriffe für „Frühling“ unter
uns, von Armenien (karun) und
Finnland (kevät), Polen (wiosna)
und Peru (primavera) bis hin zu
Kroatien (proljeće) und Indonesien (musim semi), Türkei (bahar)
und Ukraine (весна) – und vieles
mehr. Welch eine Vielfalt! Der
eine gemeinsame Nenner dürfte die Hoffnung auf Erneuerung
und neues Leben, eben auf einen
neuen Beginn sein. Das russische
Wort „капель” ruft Bilder von fallenden Wassertropfen von einst
eisigen Baumwipfeln hervor: die
Ankunft des Frühlings. Die Sonne kommt nach einem dunklen
Winter wieder zum Vorschein
und die Eiszapfen fangen an zu
schmelzen. So bleibt unser aller Hoffnung, dass der Frühling
auch ein Auftauen der Beziehungen und einen neuen Anfang
mit sich bringt, gerade dort, wo
Krieg herrscht und wo auch immer Menschen sich nach einem
neuen Anfang sehnen. Einen
in jeder Hinsicht erfreulichen,
hoffnungsvollen und gesegneten
Frühlingsbeginn wünscht herzJeffrey Myers
lich
April 2025 – Juli 2025
Der Gri昀昀 in unseren
Bücherschrank
Juli Zeh „Über Menschen“
Bracken ist der Name eines
fiktiven Dorfes in Brandenburg. Der Hauptteil des Romans „Über Menschen“ spielt
in Bracken. Hier hat sich Dora
ein Haus gekauft, ohne ihrem
Freund Robert davon zu erzählen. Als es ihr mit Robert
in Berlin während des ersten
Lockdowns in der CoronaPandemie zu eng wird, zieht
Dora nach Bracken in ihr renovierungsbedürftiges Haus
und lernt dort ihren neuen
Nachbarn Gote kennen, der
sich ihr vorstellt mit den Worten „Ich bin hier der DorfNazi.“ Und im zweiten Satz
droht er gleich Doras Hündin
Jochen „platt“ zu machen,
wenn er nochmal seine Kartoffeln ausgräbt. Bald stellt
sich heraus, dass die Bezeichnung Dorf-Nazi durchaus zutreffend ist.
Trotzdem entsteht zwischen
Dora und Gote eine Nachbarschaft, die manchmal sogar
Züge einer Freundschaft hat.
Gote ist wegen versuchten
Todschlags vorbestraft, aber
er ist auch fürsorglicher Vater der fünfjährigen Franzi,
die in den Ferien bei ihm ist.
Gote hilft Dora beim Renovieren und fährt sie zum Einkaufen. Und schließlich hilft Dora
Gote in einer existenziellen
Notlage. Die vielen Widersprüche der Figur Gote ziehen
sich auch durch den ganzen
Roman anhand etlicher Beispiele. Es ist ein Buch, dessen
Titel auch „Trotzdem“ sein
könnte. Die viel zitierte Spaltung der Gesellschaft wird
hier von Juli Zeh auf wunderbar treffende Weise skizziert
und dennoch entstehen Bindungen zwischen Menschen
über die Spaltung hinweg.
Wie alle Bücher der Autorin
ist auch „Über Menschen“
spannend, anregend, stellenweise witzig, stellenweise
hochdramatisch und eben
wirklich sehr gut geschrieben.
Es wird Ihnen beim Lesen
nicht langweilig, so viel sei
versprochen.
In einer Szene sagt ein anderer Nachbar, Steffen, zu
Dora: „Es geht nicht darum,
Widersprüche
aufzulösen,
sondern sie auszuhalten“.
Und genau das ist eine Stärke
des Romans. Die Widersprüche werden nicht aufgelöst.
Doch am Ende hat man Lust
einen
zweiten
Teil zu lesen, um
zu erfahren, wie
es Dora weiterhin ergeht, beim
Aushalten der
Widersprüche.
von KATJA GIESELMANN-KLOSE
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